Die frühgotische Madonna am Vierungspfeiler

Eines der kunsthistorisch bedeutsamsten Werke des Münsters befindet sich heute (in Kopie) am nord-westlichen Vierungspfeiler. In majestätischer Haltung thront hier die frühgotische Figur der Mutter Gottes mit dem nackten Jesuskind auf ihrem Schoss. Ihr versonnener Blick schweift in die Ferne, während Christus seinen Kopf zur Linken gewandt hat. Sein eher befremdliches Erscheinungsbild ist ... mehr anzeigenEines der kunsthistorisch bedeutsamsten Werke des Münsters befindet sich heute (in Kopie) am nord-westlichen Vierungspfeiler. In majestätischer Haltung thront hier die frühgotische Figur der Mutter Gottes mit dem nackten Jesuskind auf ihrem Schoss. Ihr versonnener Blick schweift in die Ferne, während Christus seinen Kopf zur Linken gewandt hat. Sein eher befremdliches Erscheinungsbild ist damit zu begründen, dass sein Kopf in der Barockzeit überarbeitet wurde, um ihm eine Perücke aufsetzen und ihn bekleiden zu können. Auch an Maria wurden damals Änderungen vorgenommen, sodass diese an besonderen Festtagen bekrönt werden konnte. Die aus Pappelholz gefertigte Figurengruppe ist im 19. Jahrhundert in der Sylvesterkapelle nachgewiesen, später in einer Seitenkapelle und befand sich dann ab 1928 als Leihgabe im Rosgartenmuseum. 1995 wurde die Figur an das Münster zurückgegeben. Sie steht in der Schatzkammer und wurde am Vierungspfeiler durch eine Kopie ersetzt. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wo sich die Holzskulptur vor ihrer Zeit in der Sylvesterkapelle befand. Einen Hinweis könnte aber ein Kupferstich des Münsterinnenraums von Nikolaus Kalt aus dem Jahr 1611 liefern: Hier ist eine Madonna mit Kind am Lettner befestigt und in eine größere Figurenfolge eingegliedert zu sehen. Von rechts nähern sich hier die heiligen drei Könige der Mutter mit Kind. Sie befinden sich also genau dort, wo sich der Blick Christi verliert, was zusätzlich für diese These spricht. (Konrad 2013, S. 183-184) weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 4 - Bildquelle: Eileen Ehringer

    Unbekannter Konstanzer Künstler: Frühgotische Madonna mit Kind, ca. 1260/70, aus Pappelholz geschnitzte Figur mit ausgehöhltem Rücken, 163 cm groß und 60 cm breit, am Vierungspfeiler im Konstanzer Münster unserer lieben Frau.

  • Abb. 2 von 4 - Bildquelle: Eileen Ehringer

    Am Vierungspfeiler des Münsters befindet sich heute allerdings eine Kopie der Holzskulptur. Das Original der Madonna steht in der Schatzkammer des Münsters in der oberen Nikolauskapelle. (Konrad 2013, S. 184)

  • Abb. 3 von 4 - Bildquelle: Graphische Sammlung ETH Zürich, D 11717, Nikolaus Kalt, Synode zu Konstanz (Nutzung gemäß Public Domain Mark 1.0)

    Nikolaus Kalt, Sitzung der Diözesansynode im Konstanzer Münster, 1609, Kupferstich (Ausschnitt)

    Der Kupferstich von Nikolaus Kalt aus dem Jahr 1611 zeigt womöglich die frühgotische Madonna mit Kind an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort am Lettner. (Konrad 2013, S. 183)

  • Abb. 4 von 4 - Bildquelle: Eileen Ehringer

    Ein weiterer besonderer Aspekt der frühgotischen Skulptur ist ihre Vielansichtigkeit: sie hat keinen optimalen Standpunkt aus dem sie betrachtet werden sollte, wie es zu Beispiel bei der Maria an der Westfassade der Fall war. Ganz im Gegenteil hierzu ist die Madonna am Vierungspfeiler explizit so angelegt, dass der Betrachter aus verschiedenen Perspektiven unterschiedliche Eindrücke der Figur erhält und abwechselnd vom Blick der Maria oder des Kindes adressiert wird.