Das Chorgestühl – Bildprogramm

Das seit Jahrhunderten in der Kunst und vor allem auch beim Kirchenschmuck verhandelte Thema einer Heilsgeschichte der Menschheit, spiegelt sich auch am Bildprogramm des Konstanzer Chorgestühls wieder (Reiners 1955, 360). Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, Propheten, Apostel, Evangelisten und Heilige fügen sich zu einer weitgespannten Heilsbotschaft zusammen (Köhler 1998, 28). Diese ... mehr anzeigenDas seit Jahrhunderten in der Kunst und vor allem auch beim Kirchenschmuck verhandelte Thema einer Heilsgeschichte der Menschheit, spiegelt sich auch am Bildprogramm des Konstanzer Chorgestühls wieder (Reiners 1955, 360). Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, Propheten, Apostel, Evangelisten und Heilige fügen sich zu einer weitgespannten Heilsbotschaft zusammen (Köhler 1998, 28). Diese beginnt mit Adam und schildert dann über Abraham, Mose, David und Johannes den Täufer das Alte Testament (Johannes ist hierbei als Bindeglied zum Neuen Testament anzusehen). Die Menschwerdung Christi, die Erlösungstat und das letzte Gericht sind ebenfalls vom Chorschmuck abzuleiten (Hitzel 1990, 11). Alle wichtigen Heilsträger sind hierbei abgebildet worden, als Nebenszenen schließen sich die Wangenbekrönungen den Hauptthemen an. Die Propheten der Gestühlsrückwand haben die Erlösung seit Langem vorhergesagt, ihnen zugeordnet sind die Baldachinfiguren, die Abbilder von Aposteln und Evangelisten, durch welche die Heilsbotschaft verkündet wurde (Reiners 1955, 360). Die sakrale Hochsemantik wird jedoch beständig, gerade an untergeordneten Teilen des Gestühls, von karnevalesken Umkehrungen herausgefordert. Die Statik eines festen Programms wird durch den Prozess überraschender Entdeckungen aufgebrochen. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 7 - Bildquelle: Claudia Heim und Milena Becker, bearbeitet von Claudia Heim

    Mit Maßwerk besetzte Blendarkaden und Heiligenfiguren, Werkstatt Simon Haider: Chorgestühl des Konstanzer Münsters, Eiche, ab 1467.

  • Abb. 2 von 7 - Bildquelle: Claudia Heim und Milena Becker, bearbeitet von Claudia Heim

    Die hohe Rückwand wird durch rundbogige, mit Maßwerk besetzte Blendarkaden in der Breite der Sitze gegliedert. Ihre Halbsäulen tragen in der Höhe des Bogenansatzes kleine Vorsprünge, die dafür vorgesehenen Statuetten sind nicht mehr vorhanden. Auf gewölbeartigen, mit einander verbundenen Konsolen sind Heiligenfiguren, die mit ihren jeweiligen Attributen oder Kirchenmodellen gezeigt werden, vorgesetzt (Reiners 1955, 351). Insgesamt fehlen am Gestühl 36 Figuren (Reiners 1955, 356).

  • Abb. 3 von 7 - Bildquelle: Claudia Heim und Milena Becker, bearbeitet von Claudia Heim

    In den mit reichem Maßwerk geschmückten Zwickeln sind abwechselnd die Brustbilder von Propheten und Aposteln im Halbrelief zu sehen.

  • Abb. 4 von 7 - Bildquelle: Claudia Heim und Milena Becker, bearbeitet von Claudia Heim

    Landschaftskulissen mit Stadtpanorama an den Wangen des Chorgestühls (unten) erinnern an ähnliche Darstellungen des Westportals (oben). Im unmittelbaren Vergleich sind jedoch unterschiedliche Grade der Plastizität zu beobachten. So bleibt das Gestühl, auch was den Detailreichtum und die filigranen Ausarbeitung betrifft, an dieser Stelle hinter dem Portal zurück.

  • Abb. 5 von 7 - Bildquelle: Claudia Heim und Milena Becker, bearbeitet von Claudia Heim

    Die Figuren nehmen in etwa Dreiviertel des Relieffeldes ein, ihre Körper wölben sich gleichmäßig in den Raum hinein und aus dem Bildgrund hervor. An der Gestühlswange Jungfrau mit dem Einhorn büßen sie jedoch ihre eindeutige Freistellung im Reliefbild ein. Umgeben von feinem Blattornament heben sich das Einhorn und die „wilde Frau“ nur schwerlich vom Bildgrund ab. Das in den Schoß einer Jungfrau geflüchtete Einhorn versinnbildlicht traditionell die Menschwerdung Christi (Reiners 1955, 360). Die am ganzen Körper behaarte „Wildfrau“ und das Einhorn, das sein Horn phallisch in eine Blüte des Ornaments bohrt, lässt aber eher an Umkehrungen der christlichen Ikonographie auf zeitgenössischen Spielkarten denken.

  • Abb. 6 von 7 - Bildquelle: Claudia Heim und Milena Becker, bearbeitet von Claudia Heim

    Absalom, der sich auf einem Maultier reitend mit seinen Haaren in den Ästen einer Eiche verfängt und stirbt, scheint den Bildraum dagegen in einer starken Figurwerdung nach außen und vorne aufzubrechen. Durch das im Galopp dargestellte Tier und den nach hinten gebeugten Körper wird eine starke Bewegung evoziert.

  • Abb. 7 von 7 - Bildquelle: Claudia Heim und Milena Becker, bearbeitet von Claudia Heim

    Der Figurenschmuck erstreckt sich ebenso auf die Bekrönung der Wangen, die ein Bildprogramm voller Analogien, Umkehrungen und Querbezüge erzeugen.