Schöpfungskonsolen – Liminalität

Die Franz-Xaver-Kapelle wurde in den 1480er Jahren mit der sich anschließenden Welserkapelle als Begräbnisstätte von Bischof Otto von Sonnenberg angelegt. Der Zutritt erfolgt über eine spitzbogige Arkadenöffnung, an deren Pfeiler figürlich ausgearbeitete Konsolen mit gotischen Baldachinen angebracht sind. Wie die übrigen Nordkapellen durchlebte auch diese eine sehr bewegte Bau- und ... mehr anzeigenDie Franz-Xaver-Kapelle wurde in den 1480er Jahren mit der sich anschließenden Welserkapelle als Begräbnisstätte von Bischof Otto von Sonnenberg angelegt. Der Zutritt erfolgt über eine spitzbogige Arkadenöffnung, an deren Pfeiler figürlich ausgearbeitete Konsolen mit gotischen Baldachinen angebracht sind. Wie die übrigen Nordkapellen durchlebte auch diese eine sehr bewegte Bau- und Ausstattungsgeschichte, wobei den Bilderstürmen der Reformationsjahre von 1526-51 einige Objekte, darunter auch die ursprünglich auf den Konsolen befindlichen Skulpturen, zum Opfer fielen. Im Barock wurde die Kapelle von derjenigen des Hl. Bartholomäus durch eine Scheidwand getrennt, wodurch einige Konsolen zerstört wurden. (Borrmann 2002, 60 und GRÖBER 1948, 133) Heute sind diese fünf die einzigen erhaltenen ihrer Art an den Eingängen zu den Seitenkapellen des Münsters.

Marginale bauplastische Formen wie die genannten Figurenkonsolen zählen zu den charakteristischen, wenngleich zumeist unbeachteten Merkmalen mittelalterlicher Architektur. Häufig besetzen sie mit ‚randständigen‘, nämlich ungewöhnlichen vegetabilen, geometrischen, tierischen oder menschlichen Motiven unterprivilegierte, dezentrale Schwellenräume des Kirchengebäudes. Das Zentrum hingegen bleibt traditionell dem Allerheiligsten und damit den ‚großen Themen‘ der Heilsgeschichte vorbehalten. (DINZELBACHER 2014, 8ff. und 27). Nachfolgend gilt es, das spielerische Rezeptionsprinzip der Schöpfungskonsolen zu entschlüsseln, das nicht nur die Inhalte einzelner Bibelszenen erzählt, sondern dessen spezifische Raumkonstellation einen übergeordneten Erzählmehrwert bedingt. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 4 - Bildquelle: Birgit Rucker

    Schöpfungskapitelle oder -konsolen am Eingang von Mittelschiff zur Franz-Xaver-Kapelle; hier: Der Sündenfall

    Bislang unbekannter Steinmetz (Auftrag von Bischof Otto von Sonnenberg), ca. 1490

  • Abb. 2 von 4 - Bildquelle: Birgit Rucker

    An der Unterseite der Konsole mit der Darstellung des Sündenfalls findet sich das Wahrzeichen des Bischofs Otto von Sonnenberg – ein Sonnengesicht, in welches das Zeichen des bislang noch nicht identifizierten Steinmetzes eingeprägt wurde. Außerdem sind die figürlichen Plastiken ins Stabwerk der Konsolen integriert, sodass eine nachträgliche Applikation ausgeschlossen werden kann. Damit ist der Konsolenschmuck auf ca. 1490 zu datieren. (Reiners 1955, 183 und Gröber 1948, 73f.) Wie so häufig bei plastischen Kunstwerken des Mittelalters ist auch hier die farbige Fassung größtenteils verloren (Dinzelbacher 2014, 34f.).

  • Abb. 3 von 4 - Bildquelle: Grundriss entnommen aus: Conrad Gröber, Das Konstanzer Münster, Konstanz 1948, S. 6, eigene Einzeichnungen

    Grundriss mit den Schöpfungskapitellen

    Der Konsolenschmuck zeigt Szenen der Genesis, beginnend mit der Erschaffung Evas (1) über den Sündenfall (2) und die Vertreibung aus dem Paradies (3) bis hin zu irdischen Darstellungen des ersten Menschenpaares bei alltäglichen Arbeiten (4). Zuletzt findet sich die Episode von ‚Noahs Schande‘ (5), da dieser aufgrund seiner Trunkenheit von seinen Söhnen verspottet wird (Reiners 1955, 183). Das inhaltlich kohärent gewählte Programm der Genesis wird jedoch durch eine überkreuzte und damit achronologische ‚Unordnung‘ der Szenen im Raum aufgebrochen, wie im Detail des Grundrisses ersichtlich wird.

  • Abb. 4 von 4 - Bildquelle: Lara Kiolbassa

    Blick aus der Franz-Xaver-Kapelle zwischen den Schöpfungskapitellen hindurch ins Mittelschiff

    Die ‚Unordnung‘ des Konsolenprogrammes muss mit der Bewegung des Betrachters durch den Schwellenraum des Kapelleneingangs gedacht werden, innerhalb derer sich Erzählung und Bedeutung spielerisch und interaktiv konstituieren. Wechselnde Blickpunkte des Rezipienten organisieren immer neue Kombinationen von paradiesischen mit außer-paradiesischen Szenerien in dessen Sichtfeld. Im Rahmen der Schwellensituation wird also immer wieder das zentrale Thema der Vertreibung aus dem Paradies als einer dezidierten Grenzüberschreitung thematisiert und zugleich im Rezeptionsvorgang erfahrbar gemacht.