Schöpfungskonsolen – Stilistik und Komposition

Der erste Durchgang hat verdeutlicht, wie die einzelnen Konsolenplastiken sowohl miteinander in ihrer räumlichen Verortung als auch mit dem Betrachter in seiner räumlichen Bewegung interagieren: Beide horizontalen Faktoren bedingen wesentlich die Funktionsweise dieser übergreifenden Bild-Raum-Erzählung. Der zweite Schritt soll sich der vertikalen Logik zuwenden, der dieser Konsolenschmuck ... mehr anzeigenDer erste Durchgang hat verdeutlicht, wie die einzelnen Konsolenplastiken sowohl miteinander in ihrer räumlichen Verortung als auch mit dem Betrachter in seiner räumlichen Bewegung interagieren: Beide horizontalen Faktoren bedingen wesentlich die Funktionsweise dieser übergreifenden Bild-Raum-Erzählung. Der zweite Schritt soll sich der vertikalen Logik zuwenden, der dieser Konsolenschmuck unterstellt ist.
Die Motive marginaler Bauplastik können unheimlich-befremdlich, humorvoll-skurril oder auch derb-erotisch ausfallen. Es scheint darum zu gehen, den Betrachter emotional zu affizieren, ihn zu erschrecken, zu bedrohen, zum Lachen zu bringen, nachdenklich zu stimmen und dergleichen mehr (Dinzelbacher 2014, 8ff., 50, 54). Insgesamt verfolgt marginale Bauplastik damit eine „Psychologie der Faszination“ (Dinzelbacher 2014, 54), indem das Fremde, Degenerierte, Bedrohliche, moralisch Verwerfliche oder nur schwer Kategorisierbare dem Betrachter auf irritierende Weise ‚zu nahe tritt‘, während die moralisch-überlegenen, positiven Heiligenfiguren in entrückter Ferne bewundert, verehrt und angebetet werden sollen (Dinzelbacher 2014, 55f.). Über einen Vergleich mit thematisch verwandten marginalen Bauplastiken der Romanik und Gotik wollen wir nun einige Spezifika der Stilistik und Kompositionsweise der Konstanzer Figurenkonsolen umreißen, die in den einzelnen Bilderzählungen in besonderer Weise an die Schaulust des Betrachters appellieren. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 5 - Bildquelle: Vanessa Grimm, Lara Kiolbassa

    Auch die Konstanzer Figurenkonsolen agieren, wie oben geschildert, durch ihre untergeordnete Position als komplementäre, gar subversive Antagonisten zu den tugendhaften Heiligenskulpturen, die in einer vertikalen Lesart des ‚Ensembles‘ buchstäblich ‚über ihnen standen‘, wenngleich die Verluste der Skulpturen eine spezifischere Interpretation heute leider unmöglich machen.

  • Abb. 2 von 5 - Bildquelle: GFreihalter via Wikimedia Commons (beschnitten) (Nutzung gemäß CC BY-SA 3.0)

    Adam und Eva (St. Zeno, Reichenhall)

    Vor allem im 12. Jh. waren an Konsolen die typisierten, symmetrischen „Symbolköpfe der Romanik“ (Dinzelbacher 2014, 46) verbreitet. Die Figuren zeichnen sich durch mimische Ausdruckslosigkeit und einen entrückten Blick aus, was auch die statische Darstellung von Gottvater mit Adam und Eva (um 1200) neben dem Westportal in St. Zeno aufweisen (Dinzelbacher 2014, 46 und 56). In dieser Zeit waren Stammeseltern-Zyklen auf Kapitellen in Eingangsnähe wie in St. Zeno und im Konstanzer Münster durchaus verbreitet: Der Sünder wird sich sogleich seiner Erbsünde bewusst und seine fromme Bußtätigkeit wird intensiviert (Schade 2015, 42f.).

  • Abb. 3 von 5 - Bildquelle: Welleschik via Wikimedia Commons (Nutzung gemäß CC BY-SA 3.0)

    Adam und Eva (Pfarrkirche Schöngrabern)

    Mitte des 12. Jh. ergänzten die „Individualköpfe der Gotik“ (Dinzelbacher 2014, 46) das romanische Konsolenschmuckrepertoire. Fortan vollzog sich ein Zugewinn an Wirklichkeitsnähe in Proportion und individualisiertem Ausdruck. Die Verführung Adam und Evas durch Satan (1. Hälfte 13. Jh.) in der Pfarrkirche Schöngrabern zeigt erste Ansätze dieser Wandlungen in Form der dämonisch-fratzenhaft modellierten Gesichtszüge des Teufels und dem rudimentären mimischen Ausdruck des Menschenpaares (Dinzelbacher 2014, 46-52 und 101).

  • Abb. 4 von 5 - Bildquelle: Birgit Rucker

    Erschaffung Evas (links) / Vertreibung aus dem Paradies (rechts - klicken Sie hierfür auf das Bild)

    Die orthogonale Verklammerung des Menschenpaares in der Konstanzer Erschaffung Evas hingegen verfügt gegenüber den vorherigen Beispielen über eine größere kompositorische Dramatik. Dasselbe gilt für die Darstellung der Vertreibung: Das Menschenpaar ist in einer Flucht nach vorn förmlich ‚aus dem Kapitell heraus‘ begriffen, dabei wird der überstürzte Charakter durch die Disproportionalität der Körper (übergroße Hände und Köpfe) und die Verrenkung der Glieder stark gemacht. Die Mimik hingegen entbehrt jeglicher psychologischer Differenzierung.

  • Abb. 5 von 5 - Bildquelle: Birgit Rucker

    Der Sündenfall (links) / Die Trunkenheit Noahs (rechts - klicken Sie hierfür auf das Bild)

    Auch ein Zugewinn an Wirklichkeitsnähe lässt sich den derben Darstellungen der Konstanzer Konsolen beobachten: Der Blickwinkel des Betrachters aus Untersicht lenkt den Blick auf die Sexualorgane der Figuren, Nacktheit insgesamt wird, wenn möglich, zelebriert. Zugleich wird die übergeordnete Geschichte angereichert durch gestalterische Details, indem z.B. Bäume als Chiffren der Landschaft eingefügt werden, Adam sich in vielerlei Hinsicht einen ‚Fehltritt‘ auf dem Körper der Schlange leistet und eine Hand den Bruder heftig wegdrückt, um Noah vor dessen Spott zu schützen.