Nikolauszyklus – Narratologie
G. E. Lessing hat den wohl charakteristischsten Wesenszug der Malerei benannt: Sie ist notwendigerweise eine Raumkunst ohne zeitliche Ausdehnung (Lessing 1766, 113f.; Karpf 1994, 11). Ihr erzählerisches Potential ist damit klar umrissen: Es kann zum einen über die Sukzession von Bildfeldern und bzw. oder bildimmanent, d.h. innerhalb eines einzelnen Bildfeldes, erzählt werden, indem dort ... mehr anzeigenG. E. Lessing hat den wohl charakteristischsten Wesenszug der Malerei benannt: Sie ist notwendigerweise eine Raumkunst ohne zeitliche Ausdehnung (Lessing 1766, 113f.; Karpf 1994, 11). Ihr erzählerisches Potential ist damit klar umrissen: Es kann zum einen über die Sukzession von Bildfeldern und bzw. oder bildimmanent, d.h. innerhalb eines einzelnen Bildfeldes, erzählt werden, indem dort Räume für die Bilderzählung eingerichtet werden. Wolfgang Kemp hat in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Umbruch in den visuellen Erzählstrategien um 1300 erkannt (Kemp 1996, 9-14). Im frühen Mittelalter fungierten architektonische oder landschaftliche Räume zumeist als ornamental verkürzte Chiffren, als kennzeichnende ‚Ortsangaben‘ ohne Einfluss auf die Narration wie am Beispiel der vermeintlich ‚schwebenden‘ Stadt Naim in der abgebildeten Erweckung eines Jünglings zu erkennen ist. Ab 1300 wurden ausgehend von Italien Räume immer häufiger eingerichtet, um komplexere, bildimmanente Erzählungen zu ermöglichen. Im Typus des ‚Puppenhauses‘, das die Außenwände für die Blicke des Betrachters transparent werden lässt, wurden erstmals Raumschachteln entworfen, die mit Handlungsaktionen besetzt wurden (Kemp 1996, 13-32). In diesem Sinne werden auch im Nikolauszyklus Orte entworfen, welche wie hier z.B. das Gebet des Heiligen in einem rudimentären Kirchenraum ‚beherbergen‘, während ein Engel durch eine Öffnung oben rechts hinzuschwebt.In den nachfolgenden Bildboxen gilt es, spannungsvolle Momente zu entdecken, in denen der unbekannte Künstler eine neue Formensprache ausprägt, zugleich jedoch an konventionelle Darstellungstraditionen des Mittelalters gebunden bleibt. weniger anzeigen