Abb. 1 von 15 - Bildquelle: Anna D‘Avino
Matthäus Gutrecht d.J.: Kreuzigungsaltar des Bischofs Hugo von Hohenlandenberg, Münster Unserer Lieben Frau, Konstanz 1524.
Abb. 2 von 15 - Bildquelle: Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg i.Br., Bildarchiv, Aufnahme Christoph Hoppe
Von Modernität zeugt die nächtliche Darstellung der vielfigurigen Kreuzigungsszene im Mittelbild, die dem Gemälde eine besonders düstere Stimmung verleiht. Im 15. Jh. wurden solche Kreuzigungen in der Regel bei Tageslicht oder vor einem Goldgrund abgebildet. Vermutlich kannten Auftraggeber und Künstler die Kreuzigung des Dürerschülers Hans Baldung Grien aus dem Jahre 1516, die sich auf der Außenseite des Freiburger Hochaltars befindet und die Szene ebenfalls bei Nacht zeigt.
Abb. 3 von 15 - Bildquelle: Anna D‘Avino
Das Retabel kann keinem Maler sicher zugeordnet werden. So wurde der Knochen am Boden als ‚hohles Bein‘ bereits als versteckte Signatur Hans Holbeins gelesen. Da Kochen auf Kreuzigungsdarstellung keine Seltenheit sind, sondern auf Adams Grab auf Golgotha verweisen sollen, ist diese Argumentation wenig überzeugend. Nachdem das Triptychon lange als Werk Christoph Bockstorffers galt, wird es heute eher dem Konstanzer Maler Matthäus Gutrecht d. J. und seinem Mitarbeiter Philipp Memberger d. Ä. zugeschrieben.
Abb. 4 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (bearbeitet)
Auf den Innenansichten der Flügel sind die Konstanzer Stadt- und Bistumspatrone Konrad mit Krug (l.) und Pelagius mit Schwert und Palmenwedel (r.) zu sehen. Sie stehen vor reich mit Blattgold verzierten Architekturen, die den Ausblick auf die Landschaft dahinter freigeben. Vor Konrad kniet ein Mann mit zum Gebet gefalteten Händen, dessen goldener Mantel mit Medaillondarstellungen von Aposteln und Abschnitten des Glaubensbekenntnisses geschmückt ist. Es handelt sich um eine etwas rätselhaft dargestellte Stifterfigur.
Abb. 5 von 15 - Bildquelle: © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Für ein veritables Stifterbildnis spricht die typische Pose in Anbetung, starker Seitenansicht und verkleinertem Maßstab. Reiners spricht der Figur im Vergleich mit dem Bildnis Hugo von Hohenlandenbergs von 1502 die Portraitähnlichkeit ab (Reiners 1955, S. 319). Konrad erkennt dagegen eine folgerichtig gealterte Darstellung (Konrad 2013, S. 326). Seltsam bleibt, dass sich der Bischof ohne Insignien abbilden lässt.
Abb. 6 von 15 - Bildquelle: © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Tatsächlich existiert ein früheres, von Michel Haider gemaltes Retabel Hugo von Hohenlandenbergs, auf dem er in vollem Ornat sowie mit den Wappen des Bistums und der Hohenlandenbergs zu sehen ist. Da es sich hierbei vermutlich um einen Auftrag anlässlich seiner Wahl zum Bischof 1496 handelt, scheint die selbstgefällige, auf Repräsentation bedachte Darstellung passend. Der spätere Verzicht darauf wäre mit der zur Bescheidenheit mahnenden, heraufdämmernden Reformation zu erklären.
Abb. 7 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)
Spannenderweise wurde die Architektur am linken Flügel im Rundbogen mit einem Totenkopf und Rosenkranzschnüren, in die ebenfalls kleine Totenköpfe eingearbeitet wurden, dekoriert. Ihn ihrem Pendant rechts sind dagegen Muschelverziehrungen zu finden. Folgt man der These des Stifterbildnisses, lassen sich die Totenköpfe auf der Seite Bischof Hugo von Hohenlandenbergs schlüssig mit der geplanten Aufstellung des Retabels in dessen Grabkapelle in Verbindung bringen.
Abb. 8 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)
Ebenso lässt sich eine versteckte Szene neben der Konradfigur interpretieren, in welcher ein Ritter einen Menschen aus dem Fluss rettet. Demgemäß würde sie eine Mediation Hugo von Hohenlandenbergs über seine Lebenssituation darstellen, dem – wie dem Ertrinkenden – das Wasser wortwörtlich bis zum Halse steht. Gleichermaßen ist die Anspielung auf ein wundersames Ereignis Bischof Konrads denkbar, welcher mit einem Gebet die Seelen von zwei am Wasserfall zu Schaffhausen Ertrunkenen aus dem Fegefeuer rettete.
Abb. 9 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)
In den Architekturen der Seitenflügel lässt sich im Gebälk die Datierung des Retabels ablesen. Dass die Buchstaben der Jahreszahl vertauscht sind mag zunächst befremden, wird jedoch durch die Möglichkeit der Schließung des Triptychons erklärbar. Werden die Seitenflügel zugeklappt, kann die Jahreszahl richtig gelesen werden (MDXXIIII) und die Figuren des Mittelbildes und der Seitenflügel werden einander zugewandt – die geschlossene Form muss somit immer mitgedacht werden.
Abb. 10 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)
Rätsel geben zudem die von monochromen Putten getragenen Okuli auf, die mit einer spiegelartigen Wolkenbemalung gefüllt sind. Im geschlossenen Zustand könnten diese eine Art Fenster darstellen, das zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Christus und Betrachter vermittelt. Das Unsichtbare und Sakrale wird durch jene Öffnungen sichtbar gemacht. Im Motiv der Okuli ließe sich demnach ein selbstreflexives Moment erkennen, in dem die Malerei sich selbst zu legitimieren versucht.
Abb. 11 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)
Zu Zeiten der Reformationsunruhen und des drohenden Bilderverbots standen die Abbilder Heiliger unter starker Kritik. Eine Malerei, die das Göttliche sichtbar machen kann, entspräche mithin Gott, der selbst Mensch und für die Menschen sichtbar wurde. Ebenso denkbar wäre ein Verweis auf Brunelleschis Perspektivexperimente, in welchen sich das Bild im Spiegel zeigt und die Malerei über den Spiegel gedacht wird (Kemp 1990, S. 12ff.).
Abb. 12 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz
Die Predella, der Unterbau des Retabels, zeigt die Grablegung Christi vor einer Landschaft. Diese Szene kann als thematisches Verbindungsstück zwischen der Kreuzigung Jesu und der Grabstätte Bischof Hugo von Hohenlandenbergs verstanden werden.
Abb. 13 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)
Die Landschaft in der Predella offenbart erneut ein morbides Detail. Hier ist auf einem breiten Fluss eine ummauerte Klosteranlage zu sehen, die jedoch bereits halb unter Wasser steht. Dies könnte auf die Abtei Reichenau anspielen, um deren Inkorporation in das Bistum Hugo von Hohenlandenberg stets bemüht war und die er nach seinem Tod dem Untergang geweiht sieht. Diese Metapher kann weiterhin allgemein auf den Untergang der katholischen Kirche am Vorabend der Reformation übertragen werden.
Abb. 14 von 15 - Bildquelle: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Fotograf: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (bearbeitet)
Die Außenseite der Flügel zeigt die Heilige Sippe vor einer Renaissancearchitektur. Die heilige Familie und Anna befinden sich auf dem linken Flügel. Auch hier ist der Himmel auffällig verdunkelt und düster. Die Figuren tragen keine Heiligenscheine mehr, lediglich hinter Maria ist ein Schatten auf der Säule erkennbar. Zum Retabel gehörten ehemals zwei Standflügel, die den heiligen Nikolaus sowie die heilige Barbara zeigen. Sie befinden sich heute in der Staatsgalerie Stuttgart.
Abb. 15 von 15 - Bildquelle: Anna D‘Avino
Glücklicherweise überdauerte das Flügelretabel die reformatorischen Bilderstürme – vermutlich da es sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Münster befand. Auch Bischof Hugo von Hohenlandenberg wurde nie in seiner Grabkapelle beigesetzt, in der heute lediglich sein Wappen im Schlussstein des Gewölbes auf ihn verweist. Er war samt Domkapitel 1526 nach Meersburg geflohen, wo er – obgleich er 1531/32 erneut Bischof wurde – verblieb und bestattet wurde.