Die „Sinnenallgorie“ an der rechten Ostwand ist mit einer Größe von 100 cm x 60 cm wesentlich kleiner als der Löwenkämpfer.
Nos aper auditu, linx visu, simia gustu,
Vultur odoratu precedit, aranea tactu.
Der Eber hört besser, der Luchs sieht schärfer, der Affe hat einen feineren Geschmack, während der Geier besser riecht und die Spinne sensibler tastet.
Kaiser Heinrich VI., Weingartner Liederhandschrift HB XIII 1, S. 1, Konstanz, Anfang 14. Jh., Württembergische Landesbibliothek Stuttgart.
Die Herrscherfigur der Sinnenallegorie weist in Sitzhaltung, Haartracht und Krone große Ähnlichkeit zu dieser Darstellung Heinrichs VI. in der Weingartner Liederhandschrift auf.
Wheel of the Senses, Longthorpe Tower, Peterborough, Cambridgeshire, UK, ca. 1320–1340
In einem Speicherturm des engliscchen Städtchens Longthorpe bei Peterborough (Cambridgeshire) ist um 1320-40 eine vergleichbare Sinnenallegorie als Wandmalerei entstanden Die fünf Tiere sind hier den fünf Speichen eines Rads zugeordnet, hinter dem eine Herrscherfigur steht. Auch hier steht die Spinne (in ihrem Netz) für den Tastsinn, das Wildschwein für das Gehör, der Geier für den Geruch und der Affe für den feinen Geschmacksinn. Ander als in Konstanz wird das scharfe Sehen (unten rechts) durch einen Hahn symbolisiert.
Der Auftraggeber beweist mit dem Bild seine literarische Bildung und seinen Sinn für originelle und vielschichtige Umsetzungen. Schon das Schaubild mit den fünf Tieren ist eine sehr ungewöhnliche Darstellung. Originell und sinnreich ist aber auch die Auswahl des Schaubilds als Pendant zum Löwenkampf: wird der Mensch dort eindeutig als Herrscher über das Tier und damit - im Sinn der Allegorie - auch als Sieger über seine eigene Sinnlichkeit gezeigt, ist das Verhältnis auf der anderen Seite nicht mehr so eindeutig. Der Herrscher zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Sinne nicht einfach kontrolliert und einschränkt, sondern verfeinert. Die Tiere mutieren in dieser Hinsicht zum Vorbild.