Die Heilung des Blindgeborenen

Rahmengerüst und Architekturdarstellungen gliedern das Bild in zwei Segmente. Wieder werden zwei verschiedene Phasen des Wunders simultan wiedergegeben, was in diesem Fall durch den doppelten Auftritt des Kranken und Geheilten besonders deutlich wird. Im linken Abschnitt sind Christus und seine Apostel zu sehen, eingefasst in das bereits gewohnte, mit dunklen Tüchern geschmückte ... mehr anzeigenRahmengerüst und Architekturdarstellungen gliedern das Bild in zwei Segmente. Wieder werden zwei verschiedene Phasen des Wunders simultan wiedergegeben, was in diesem Fall durch den doppelten Auftritt des Kranken und Geheilten besonders deutlich wird. Im linken Abschnitt sind Christus und seine Apostel zu sehen, eingefasst in das bereits gewohnte, mit dunklen Tüchern geschmückte Rahmengestell. Der Blindgeborene befindet sich zentral im Bild, ist in ein rotes Gewand gekleidet und hält einen dünnen Blindenstock in der Hand. Mit auffällig weitem Schritt tritt er an Christus heran, der ihm, dem Bibeltext nach, eine Mischung aus Erde und Speichel in die blinden Augen reibt – ähnlich wie Gott auch den ersten Menschen geformt hat (Gen. 2, 7). Zwischen den beiden Abschnitten des Wunders vermittelt ein rotes hochgestelztes Haus. Der rechte Abschnitt ist aufgrund des Baus und des späteren Abbruchs des spätgotischen Lettners stark beschädigt. Hier folgt der Blindgeborene dem Geheiß Christi: der Teich Siloah ist als Fließbrunnen dargestellt, an dem er sich die Augen auswäscht, um geheilt zu werden. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 4 - Bildquelle: Landesamt für Denkmalpflege im RP Stuttgart, in: Jakobs 1999, Tafel 79g

    Hic sine luce satus sputoque lutoque linitus …
    Hier wird der ohne Licht Geborene zugleich mit Speichel und Lehm bestrichen und …
    (Transkription des Titulus und Übersetzung nach Walter Berschin)
    Bibelreferenz: Jh 9,1-7.
    Der zweite Teil des Titulus ist durch den Einbau des gotischen Lettners zerstört worden.

  • Abb. 3 von 4 - Bildquelle: Landesamt für Denkmalpflege im RP Stuttgart, in: Jakobs 1999, Tafel 79g (Detail)

    Bei der „Heilung des Blindgeborenen“ ist der thematische Höhepunkt der Nordwand bildkompositionell auch daran zu erkennen, dass ein Fremder, der Blindgeborene, Einlass in das architektonische Gestell und den heiligen Raum um Christus erhält. Die rechts zu sehende Weiterführung des Rahmengestells (weiß mit gelben Rändern) geht auf eine falsche Deutung des Befunds durch eine nachträgliche Übermalung zurück.

  • Abb. 5 von 4 - Bildquelle: Landesamt für Denkmalpflege im RP Stuttgart, in: Jakobs 1999, Tafel 79g (Detail)

    Die hochgestelzten Häuser dienen der architektonischen Gestaltung des Hintergrunds und als Vorgabe von Richtungsbezügen durch ihre Schrägstellung. Außerdem fungieren sie als markanter Kontrast zu dem durch die Öffnungen sichtbar werdenden Streifenhintergrund. So entsteht einerseits eine Tiefenraumillusion und andererseits erfolgt die Hervorhebung bestimmter Figurenkompositionen sowie zentraler Ereignisse des Bildgeschehens.

    Im Bild der „Heilung des Blindgeborenen“ ist am linken Pfosten des zentralen Hauses eine bildimmanente Reparatur zu sehen. Möglicherweise sollte durch die Korrektur der farbliche Kontrast betont und eine Überlagerung vermieden werden. Die Gleichfarbigkeit des Hauses und des Blindengewands stellt zudem eine visuelle Relation her, die eine mögliche Zuordnung suggeriert. Da die Reparatur außerdem die Form eines Kapitells hat, ist es denkbar, dass zusätzlich ein semantischer Bezug zum Blinden besteht, denn das lateinische Wort capitellum bedeutet Köpfchen

  • Abb. 6 von 4 - Bildquelle: Landesamt für Denkmalpflege im RP Stuttgart, in: Jakobs 1999, Tafel 79a

    Die Fotografie zeigt den Zustand des Bildes nach der Freilegung 1882 (Aufnahme von G. Wolf). In der Mitte ist deutlich eine helle, demnach zerstörte, Stelle zu sehen, die von der Errichtung und Beseitigung des Lettners herrührt. Dennoch scheint es, als ob das Bildprogramm weiterhin akzeptiert wurde: Der Lettner, bzw. die Beschädigung durch den Lettner, ist genau an der Stelle - am Rand des roten, hochgestelzten Hauses - gewesen, die das Bildgeschehen trennt. So wäre trotz der vermutlichen Übermalung der zweiten Bildhälfte während dieses Zeitraums eine kontinuierliche Lesart des Zyklus möglich gewesen.