(Un)Moral

Das körpernahe Erklären und Erzählen bestimmt das, was als übergreifender „Ton“ der Ausmalung angesprochen wurde. Es ist ein Unterton, der in der Lage ist, die offiziellen Aussagen zu unterlaufen: Die Tugenden der Hofeinfahrt siegen über die Laster. Aber auf welcher Seite steht die Schönheit dieser körpernahen Malerei? Der Verstand muss die Sinne kontrollieren, doch gelingt das mit einem zwar gelehrten, aber doch das Auge entzückenden Bildprogramm? Im dritten Geschoss haben die Bilder Exempel der Liebestollheit vorgeführt – als moralische Warnung oder doch eher als moralische Entlastung und Anleitung zum Vergnügen? Ein Stockwerk darunter erzählt die Malerei vom Aufstieg des tumben Parzivals zum erfolgreichen und gebildeten Ritter. Spiegelt sich hier indirekt und entrückt in ein ritterliches Wunderland die Karriere eines erfolgreichen Klerikers? Aber stehen nicht auch hier die amourösen Abenteuer des Helden im Zentrum? Schließlich verfolgt die Malerei auf der gegenüberliegenden Wand, wie man Hanf zu Werg, Werg zu Garn und Garn zu Stoffen machen kann. Doch wird in der Haltung der Werkzeuge nicht auch auf Techniken der Liebe angespielt und die Vorstellung zu sexuellen Phantasien angeregt?

Die Bilder definieren auf einer ersten Ebene den öffentlichen Raum des Amtes. In dieser Hinsicht dürfen wir erwarten, dass sie die klassische Aufgabe der Belehrung und Erziehung erfüllen. Der Auftraggeber bewegt sich jedoch in einem sozialen Umfeld, in dem eine solche Moral nicht das letzte Wort haben soll: klerikale Karriere und amouröse Abenteuer schließen sich in dieser Kultur keineswegs aus. Das zeigt zum Beispiel auch die zeitgleiche Minnelehre des Johann von Konstanz (urkundlich belegt zwischen 1281-1312). Auch hier wird mit den Versatzstücken moralischer Literatur gespielt und dem Leser ein ganz anderer, auf körperliche Erfüllung der Liebe abzielender Ratgeber an die Hand gegeben. Und so sind auch in den Stuben dieses Amtshauses Bilder entstanden, die nicht nur mit den feinen Bildungsansprüchen, sondern auch mit dem Humor und den Begierden seiner Bewohner und Besucher interagieren konnten.