Das Konstanzer Parzivalfresko mit der Bezeichnung einiger wiederkehrender Motive an ihren jeweiligen Stellen.
Gerade dadurch, dass sich bei der Entwicklung des Parzival vom einfältigen Knaben zum idealen Ritter einzelne Handlungsmotive wiederholen, gewinnt die Darstellung an Komplexität. Denn die vermeintlichen Wiederholungen vollziehen sich stets in einem anderen Kontext, unter veränderten Vorzeichen, auf einer neuen (Bild-)Ebene und in bewusstem Kontrast zum Vorhergehenden. Eine Wandmalerei, die sowohl en détail wie auch im Ganzen betrachtet werden kann, erscheint dafür als das ideale Darstellungsmedium.
Auch die rund ein halbes Jahrhundert nach dem Konstanzer Parzivalfresko entstandenen Tristan-Teppiche setzen Episoden aus einem bekannten Ritterepos ins Bild. Ihr formaler Aufbau ähnelt dem der Wandmalerei im Haus zur Kunkel. Neben der analogen Grundkomposition in horizontalen Bilderstreifen und der Funktion von Bauwerken als ‚Episoden-Grenzen‘, dynamisiert auch hier die Ausrichtung der meisten Pferde die Leserichtung.
Tristan-Teppich II,. 248 x 386cm, 3. Viertel des 14. Jahrhunderts, Kloster Wienhausen
Weiter an Komplexität gewinnt die Wandmalerei durch die Vieldeutigkeit ihrer bildlichen Zeichen. Wie bereits in den Beschreibungen der dargestellten Parzival-Episoden gezeigt, führen manche Bilderszenen zwei Episoden des Epos zusammen und können auf bereits Geschehenes zurückverweisen oder auf spätere Aventüren hindeuten. Doch das Parzival-Fresko ist nicht nur in seinen Teilstücken durch Anspielungen und formale Entsprechungen vernetzt, sondern steht gleichzeitig auch in zahlreichen Bezügen zu den weiteren Wandmalereien im selben Haus. Auch wenn sie nicht alle von einem Maler ausgeführt sein können (vgl. Saurma 2002, S. 307), beziehen sie sich in ihrer inhaltlichen Nähe (Betonung von Körperlichkeit und außergewöhnlich viele Frauendarstellungen) und stilistischen Ähnlichkeit aufeinander. Genau dieser ‚heraldische Stil‘ mit seiner heiter-vornehmen Reduktion und der Betonung der Umrisslinie verbindet die Fresken des Kunkel-Hauses zusätzlich noch mit den zur gleichen Zeit ebenfalls in der Region entstandenen, berühmten Liederhandschriften: dem Codex Manesse und der Weingartner Liederhandschrift.
Wenn die Besitzer und Bewohner des Hauses, die Wandmalereien stolz ihren Besuchern zeigten und erklärten, mögen die Geschichten immer wieder neu erzählt worden sein. Dass die schönen Damen auf den Wänden neben Prahlereien mit Belesenheit und Kennerschaft auch zu manch zotigem Männerwitz eingeladen haben oder gar amouröse Abenteuer stimulieren und legitimieren konnten, ist natürlich nicht beweisbar, aber auch nicht von der Hand zu weisen.
Im Weiteren sollen hier vier ‚Lesarten‘ vorgestellt werden, nach denen das Parzivalfresko interpretiert werden kann.