Mit ziemlicher Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass die Wappen auf den Schilden der zwei Knappen, die Parzival im mittleren Bildstreifen begleiten, Anspielungen auf Personen oder ganze Familien darstellen, die mit dem Auftraggeber der Wandmalerei in Beziehung standen. Auch wenn Werner Wunderlich (1996, S.89) das Wappen mit den drei Widderhörnern auf hellem Grund der oberschwäbischen Ministerialen-Familie „von Tann“ zuordnen konnte, ist bisher nicht klar, ob und wenn ja, welche Beziehung von dieser zum Stift von St. Johann bestand.
Doch wessen Wappen auch immer hier in die Eposhandlung hineingemalt wurde, auf alle Fälle sollte dadurch etwas vom ritterlichen Glanz des vorzeitlichen Helden auf ihn, den zeitgenössischen Wappenträger, zurückfallen.
Der Tristan-Teppich I setzt die Eposhandlung auf besonders deutliche Weise mit der Gesellschaft, zu deren Schmuck und Erbauung er entstand, in Beziehung, indem er in abwechselnden, horizontalen Registern Episodenbilder und Wappen seiner Zeit darstellt. Er schreibt damit die Geschlechter und Personen, deren Wappen zu sehen sind, direkt in eine vermeintlich ununterbrochene Traditionslinie ritterlicher Tugend und Kultur ein.
Tristan-Teppich I, 233 x 404cm, 1. Viertel 14. Jahrhundert, Kloster Wienhausen
An allen sonst eigentlich gut erhaltenen Freskostellen, an denen Parzivals Kampfhelm abgebildet gewesen sein muss, wirkt dieser wie vorsätzlich herausgekratzt. Das mag damit zusammenhängen, dass die dilettantischen „Restauratoren“ des 19. Jhs. nicht wussten, was der Ritter da auf die geschulterte Lanze gesteckt mitgeführt haben mag. Aus diesem Grund könnten seither Helmtuch und Helmbusch so verbindungslos hinter dem Ritter in der Luft hängen. Es ist aber auch denkbar, dass der Helm – wie auf zahlreichen Darstellungen des Codex Manesse – ein Zeichen trug, das auf ein bestimmtes Wappen verwies. Wenn der Auftraggeber der Fresken so sich selbst oder einem seiner Dienstherren oder Gönner ein Denkmal setzen ließ, so könnte diese von späteren Besitzern des Hauses bewusst ausgelöscht worden sein.
Damit liegt der Fokus des Wandgemäldes ganz auf der „Karriere“ des Titelhelden. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, enthält Wolfram Epos doch lange Passagen, in denen Parzival große theologischen Fragen aufwirft und einen verbitterten Kampf mit seinem Glauben führt. Obwohl das Fresko im Auftrag eines klerikalen Würdenträgers entstand, sind aber genau diese Episoden völlig ausgespart. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass dies mit einem neuen Selbstverständnis zusammenhängt, das in den Städten um 1300 aufkam. Der florierende Handel führte zu wachsendem Wohlstand und zu einem neuen Selbstbewusstsein, angefangen beim niederen Ministerialadel über den gebildeten Weltklerus bis zum städtischen Bürgertum. Sie wurden vom hohen Adel unabhängiger und ahmten zugleich dessen Lebensstil nach. So wurden adlige Ideale eines damals schon längst nicht mehr bedeutsamen Rittertums zu einer kulturellen Prestige-Angelegenheit, eine Art Spiel, in dem auch Städter und studierte Geistliche Bildung, Reichtum und Weltläufigkeit demonstrieren konnten. In Konstanz entstanden in jener Zeit in Bürgerhäusern Wandgemälde, die den heraldischen Stil und die ritterlich-nostalgischen Themen des Adels kopierten. Dass laut Bihrer (2007, S. 193ff.) mit Walter von Rossberg ein Emporkömmling unter den Chorherren von St. Johann Auftraggeber des Parzival-Zyklus war, passt besonders gut. Dieser konnte mit der Wandmalerei seinen neuen sozialen Status festigen und ein auch sakral auslegbares Thema in modischem Gewand präsentieren.