Zwischen zwei Idealen – ein Tugendraum?

Eine weitere christliche Interpretation zum Parzivalzyklus bietet Lieselott E. Saurma-Jeltsch an, die in ihm das Ideal der vita activa verbildlicht sieht. Als eine von zwei gottgefälligen Lebensformen verlangt die vita activa von Christen ein aktives Wirken in der Welt im Sinne der Nächstenliebe. Im ergänzenden Kontrast dazu steht in der mönchischen Tradition mit der vita contemplativa eine zurückgezogene Lebensführung, die im Gebet und in meditierender Beschäftigung Gott sucht. Für Saurma-Jeltsch ist in den Weberinnen-Fresken „über die Bearbeitung der Materie die Arbeit im Geiste, [...] der Einstieg in die vita contemplativa, visualisiert“ (Saurma 2002, S. 307). Auch formal entsprechen die statisch abgegrenzten Bildfelder der Weberinnen und das dynamische Ineinandergreifen der Parzivalepisoden dieser Sichtweise. Zwischen den beiden Wandmalereien eröffnet sich bei dieser Interpretation ein Raum, der sich in heilsgeschichtliche Traditionen einschreibt und zugleich individuell die Frage nach dem richtigen Leben aufwirft.